Kühlwasserdesinfektion
Chlordioxid macht die Kühlwasserdesinfektion sicherer und wirtschaftlicher
Das zur
Trinkwasserdesinfektion zugelassene Chlordioxid kann auch Biofilme in
Kühlwasseranlagen in Schach halten. Allerdings muss der Betreiber für den
Einsatz des giftigen und explosiven Gases hohen technischen Aufwand betreiben,
deshalb wird die Chemikalie in der Praxis kaum eingesetzt. Ein neues Verfahren
könnte das jetzt ändern.
Mit einem
neuen Verfahren auf Basis von Chlordioxid hat Infracor, das als Tochter von
Evonik Industries im Geschäftsbereich Site Services den Chemiepark Marl
versorgt, die Biozidbehandlung von Kühlwasser sicherer und wirtschaftlicher
gemacht. Infracor versorgt in Marl einen der großen Chemiestandorte
Deutschlands. Die Versorgung des Standorts mit Kühlwasser erfolgt über 16
Rückkühlwerke mit einer Umwälzleistung von etwa 80 000 m³/h. Die Kühlsysteme
gehören zur Gruppe der kreislaufgeführten Nasskühltürme.
Als
Kühlturmzusatzwasser wird Wasser aus dem Wesel-Datteln-Kanal verwendet, das
nach der Aufbereitung in Form einer Teilentkarbonisierung in den Kühlsystemen
mehrfach eingedickt wird. Die Fahrweise ist schwach alkalisch. Die chemische
und mikrobiologische Qualität des Kühlwassers unterliegt einer engmaschigen
Steuerung und Überwachung.
Kühlwasser
in Rückkühlwerken bietet ideale Bedingungen für die Vermehrung von
Mikroorganismen. Mikrobielles Wachstum in Kühlsystemen ist immer mit der
Bildung von Biofilmen verbunden, die alle wasserführenden bzw. feucht
gehaltenen Oberflächen eines Kühlsystems in unterschiedlicher Dicke bedecken.
Für ein Kühlsystem ist der Aufbau von Biofilmen immer mit gravierenden
Nachteilen verbunden: Biofilme verursachen eine deutliche Verschlechterung des
Wärmeübergangs, führen zu mikrobiell beeinflusster Korrosion (MIC) und sind die
Basis für das Wachstum von Legionellen und damit die Ursache einer ständigen
Rekontamination des Kühlwassers mit Legionellen. Zur Kontrolle des mikrobiellen
Wachstums in Kühlsystemen ist deshalb eine effiziente Biozidbehandlung
unverzichtbar.
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Diese
Nachteile hat die Desinfektion mit Chlor
Die
Kühlwasserdesinfektion im Chemiepark Marl erfolgt derzeit überwiegend durch
eine Biozidbehandlung mit einer Kombination aus Chlor, Natriumbromid und einem
nichtio-nischen Tensid. Die desinfizierende Wirkung des Chlors beruht im
Wesentlichen auf seiner Eigenschaft als Oxidationsmittel. Wirksames Agens ist
die undissoziierte hypochlorige Säure, die in Abhängigkeit vom pH-Wert unter
Bildung von Hypochlorit-Ionen dissoziiert. Die pH-Werte des Kühlwassers liegen
mit Werten bis etwa pH 7,8 – je nach Fahrweise des spezifischen Rückkühlwerks –
in einem Bereich, in dem Chlor allein keine ausreichende Wirkung mehr besitzt.
Zur
Verbesserung der bioziden Wirksamkeit wird Chlor daher in Kombination mit
Natriumbromid angewendet, wodurch aufgrund der Bildung von hypobromiger Säure
die biozide Wirksamkeit im relevanten pH-Bereich verbessert wird. Führungsgröße
für die Biozidbehandlung des Kühlwassers ist das Redoxpotenzial, das daher
kontinuierlich gemessen wird.
Das
Redoxpotenzial eines Wassers ist charakteristisch für die Geschwindigkeit der
Keimtötung durch oxidierende Desinfektionsmittel, wobei gilt: je höher das
Redoxpotenzial, desto schneller die Keimtötung, und umgekehrt. Die
Biozidbehandlung erfolgt stoßweise, indem beim Unterschreiten bestimmter
Redoxwerte die Chlorungsanlage startet und beim Überschreiten bestimmter
Schaltpunkte wieder stoppt.
Der
entscheidende Nachteil einer Kühlwasserdesinfektion mit Chlor/Bromid ist deren
stark eingeschränkte Wirksamkeit gegenüber Mikroorganismen im Biofilm. Außerdem
wird die Veralgung der Kühlturmeinbauten nicht in ausreichendem Maße
verhindert. Je nach Situation – beispielsweise bei massivem Algenbewuchs der
Kühlturmeinbauten oder bei erhöhten Legionellenbefunden – ist daher der
zusätzliche Einsatz von Peressigsäure als ergänzende Maßnahme unverzichtbar.
Per-essigsäure hat neben desinfizierenden auch belagslösende Eigenschaften.
Das bringt
Chlordioxid für die Desinfektion
Die
Kühlwasserdesinfektion mit Chlordioxid bietet im Vergleich zu den überwiegend
eingesetzten oxidierenden Bioziden wie Natriumhypochlorit, Chlor oder
Chlor/Bromid substanzielle Vorteile hinsichtlich mikrobiozider Wirksamkeit und
Umweltverhalten. Die chemischen Eigenschaften von Chlordioxid unterscheiden
sich grundlegend von denen des Chlors. Chlordioxid ist ein sehr gut
wasserlösliches Gas; es dissoziiert nicht, sondern liegt als freies Radikal in
Wasser vor. Dadurch ist seine Desinfektions- bzw. Oxidationswirkung unabhängig
vom pH-Wert.
Chlordioxid
löst überdies Biofilme bzw. verhindert deren Entstehung und begrenzt so eine
fortwährende Rekontamination des Wassers beispielsweise mit Legionellen. Im
Gegensatz zu Chlor führt es nicht zur Bildung von Trihalogenmethanen, und die
Bildung organisch gebundener Halogene (AOX) oder anderer unerwünschter
organischer Desinfektionsbeiprodukte ist ebenfalls fast vollständig
ausgeschlossen. Diese Eigenschaften machen Chlordioxid zu einem idealen Biozid
bzw. Oxidationsmittel in der Wasserbehandlung. Chlordioxid ist zur
Trinkwasserdesinfektion zugelassen.
Trotz der
substanziellen Vorteile in Bezug auf Wirkung und Umweltverhalten ist die
Anwendung von Chlordioxid insbesondere in der Kühl- und
Prozesswasserdesinfektion eher selten. Ein Grund hierfür ist der hohe Aufwand
hinsichtlich Anlagentechnik, Betrieb, Wartung und Personalschulung sowie für
die Überwachung zur Vermeidung des Risikos einer Chlordioxidemission oder
-explosion – ein Aufwand, der bei Betrieb von Chlordi-oxidanlagen nach dem
heutigen Stand der Technik erforderlich ist.
Chlordioxid
ist ein giftiges Gas mit einem Arbeitsplatzgrenzwert von 0,1 ppm bzw. 0,3
mg/m³. Oberhalb einer Konzentration von zehn Volumenprozent in der Gasphase
kann Chlordioxid explodieren. Eine solche Chlordi-oxidkonzentration stellt sich
bei 20 °C oberhalb einer wässrigen Chlordioxidlösung von 8 g/l ein. Die Gefahr
eines Zerfalls wässriger Lösungen besteht oberhalb einer Konzentration von 28
g/l.
Aufgrund
dieser Eigenschaften kann Chlordioxid nicht in den benötigten Mengen gelagert
oder transportiert werden, sondern muss immer direkt am Einsatzort erzeugt
werden. Die Erzeugung von Chlordioxid für die Wasserbehandlung erfolgt
überwiegend in Natriumchlorit-basierten Prozessen, wobei der
Säure-Chlorit-Prozess zu chlorfreiem Chlordioxid führt.
Chlordioxidanlagen
nach dem Stand der Technik sind wie folgt gekennzeichnet:
Die
Aufstellung in personenbegangenen Räumen erfordert komplexe
Sicherheitsvorkehrungen zur Absicherung der mit dem Prozess verbundenen Risiken
einer Chlordi-oxidemission oder -explosion.
Die
Chlordioxidsynthese aus verdünnten Edukten führt zu einer langsamen,
temperaturabhängigen Reaktion mit unvollständiger Umsetzung (85 bis 95 Prozent
Ausbeute). Die maximale Chlordioxidkonzentration im Reaktor wird auf 20 g/l
begrenzt. Die Reaktoren müssen hermetisch verschlossen sein und sind häufig Druckbehälter.
Lange
Reaktionszeiten erfordern große Reaktorvolumina, die beträchtliche Mengen
Chlordioxid beinhalten. Liegt die Erzeugungskapazität der Anlage z.B. bei einem
Kilogramm Chlordioxid pro Stunde, befinden sich im Reaktor etwa 160 Gramm
Chlordioxid.
Das neue
Verfahren bietet Vorteile
Um dennoch
die Vorteile von Chlordioxid nutzen zu können, hat Infracor ein neues Verfahren
entwickelt, zum Patent angemeldet und in der Praxis zum Einsatz gebracht. Es
schließt die Betriebsrisiken von Chlordioxidanlagen nach dem Stand der Technik
aus und ermöglicht eine sichere und wirtschaftliche Anwendung von Chlordioxid.
Beim
Infracor-Verfahren wird das Chlordioxid ausschließlich im zu behandelnden
Wasser erzeugt, und bis zur Reaktion bleiben die Edukte strikt voneinander
getrennt. Die Chlordioxidsynthese erfolgt dabei unter optimierten
Reaktionsbedingungen aus konzentrierten Edukten und resultiert in einer
schnellen, temperaturunabhängigen Reaktion mit Ausbeuten von mehr als 98
Prozent.
Die
Chlordioxidkonzentration im Reaktor beträgt 80 g/l. Das spezifische
Reaktorvolumen ist um den Faktor 500 verkleinert, die darin enthaltene
Chlordioxidmenge auf unter ein Prozent reduziert. Der Reaktor ist direkt zum
umgebenden Wasser geöffnet. Der Vorteil: Hat die Anlage beispielsweise eine
Erzeugungskapazität von ein Kilogramm Chlordioxid pro Stunde, beträgt die Menge
an Chlordioxid im Reaktor nur etwa 1,4 Gramm, und diese wird infolge des
direkten Austauschs mit dem umgebenden Wasser sofort auf eine unbedenkliche
Konzentration verdünnt.
Praxistest
bestanden
Entscheidende
Vorteile der Chlordioxiddesinfektion wurden im Chemiepark Marl bereits in der
Praxis verifiziert. Dazu gehören das Ablösen von Biofilmen bzw. Belägen, die
auch noch nach der Verrieselung bestehende Wirksamkeit und damit die
Verhinderung einer Veralgung der Kühlturmeinbauten sowie die Reduktion der AOX
auf Werte unter 50 μg/l.
Bei der
Umstellung von Chlor/Bromid auf Chlordioxid kann in der Anfangsphase über einen
Zeitraum von einigen Monaten der Verbrauch an Chlordioxid um ein Vielfaches
zunehmen und die DOC- und AOX-Werte steigen (DOC: gelöster organischer
Kohlenstoff). In dieser Phase werden vorhandene Biofilme abgelöst. Das führt
u.a. zur Freisetzung der darin abgelagerten chlororganischen Verbindungen und
damit zu erhöhten AOX- und DOC-Werten und verursacht eine erhöhte
Chlordioxidzehrung.
Der
anfängliche Chlordioxidverbrauch in einem umgestellten Rückkühlwerk betrug etwa
220 kg pro Woche und reduzierte sich im Verlauf von etwa sechs Monaten auf 28
bzw. 13 kg pro Woche. Bei der Umstellung auf Chlordioxid stiegen die AOX-Werte
zunächst auf fast das Doppelte an. Parallel zur Abnahme des
Chlordioxidverbrauches reduzierte sich die AOX-Konzentration auf Werte unter 50
μg/l.
Die
Umlaufleistung des betrachteten Kühlsystems betrug rund 3500 m³/h, die
Dosierung zur Einstellung eines Redoxpotenzials zwischen 330 und etwa 500 mV
variierte zwischen 0,7 und 0,3 ppm. Ein weiteres Rückkühlwerk wurde über einen
Zeitraum von 1,5 Jahren ausschließlich mit Chlordioxid desinfiziert. Entgegen
der Annahme, dass Chlordioxid bei der Verrieselung vollständig ausstrippen
würde und damit die Kühlturmeinbauten unbehandelt wären, blieben die
Kühlturmeinbauten während dieses Zeitraumes sauber bzw. algenfrei.
Parallel zum
Einsatz in der Kühlwasserdesinfektion im Chemiepark Marl wurde das Verfahren an
Ashland Hercules Water Technologies, eines der weltweit führenden
Wasserbehandlungs-Unternehmen, lizenziert und ist mittlerweile in zahlreichen
industriellen Kühlsystemen in Europa im Einsatz. ●
* Die
Autoren sind Mitarbeiter des Bereichs Ver- und Entsorgung des Geschäftsbereich
Site Services bei Infracor.
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